Französischer Handelsriese droht mit Boykott von Mercosur-Produkten
Die Debatte über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur hat in der EU eine neue Phase erreicht – dieses Mal hat sich das Großkapital der Kritik der Bauern angeschlossen. Eine der größten französischen Einzelhandelsketten, „Système U“, hat öffentlich angekündigt, dass sie Agrarprodukte aus dem Mercosur-Block boykottieren wird, wenn das Abkommen ratifiziert wird. Diese Ankündigung zeigt, dass der Widerstand gegen das Abkommen nicht mehr nur eine Angelegenheit von Landwirten oder politischen Organisationen ist, sondern sich zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Signal für den europäischen Markt entwickelt.
Dominique Schelcher, CEO von „Système U“, betonte laut französischen Medien, dass das Netzwerk sich weigern werde, Produkte aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zu importieren, wenn das Abkommen den Importen einen Wettbewerbsvorteil auf Kosten der lokalen Produzenten verschaffe. Eine Situation, in der die europäischen Landwirte strengen Gesundheits-, Umwelt- und Arbeitsnormen unterliegen, während die Erzeuger im Mercosur unter weitaus niedrigeren Standards arbeiten können, schafft ein systemisches Problem des "unlauteren Wettbewerbs", das unweigerlich Auswirkungen sowohl auf die Landwirte als auch auf die Verbraucher hätte, sagte er.
Diese Erklärung kommt zu einem besonders heiklen Zeitpunkt: Auf dem EU-Gipfel wurde beschlossen, die Unterzeichnung des EU–Mercosur-Freihandelsabkommens auf Januar zu verschieben. Obwohl das Dokument als eines der ehrgeizigsten Handelsabkommen der Welt gilt, da es einen Markt von rund 780 Millionen Verbrauchern abdeckt und die Abschaffung von Zöllen für bis zu 93 % vieler Waren vorsieht, bleibt es eines der umstrittensten Projekte in der EU.
Das Abkommen sieht vor, dass die Mercosur-Länder nach Ablauf einer Übergangszeit Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Ethanol fast zollfrei in die EU exportieren können, also genau die Produkte, die für viele europäische Volkswirtschaften strategisch wichtig sind. Kritiker warnen, dass eine solche Öffnung der Importe erhebliche Auswirkungen auf die Preise haben und die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Erzeuger, insbesondere der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe, beeinträchtigen könnte, die bereits unter dem Druck steigender Kosten und der Regulierung stehen.
„Système U“'s Position ist Teil eines breiteren Konflikts zwischen dem Agrarsektor und den Befürwortern der Handelsliberalisierung. Die Proteste der Landwirte in Brüssel und anderen europäischen Städten in den letzten Monaten, die oft in radikale Aktionen ausarteten, haben gezeigt, dass der Widerstand gegen das Abkommen nicht episodisch, sondern strukturell ist. Bauernverbände und einige Politiker warnen davor, dass das Abkommen ohne zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen ganze Regionen destabilisieren könnte.Die Befürworter des Abkommens betonen jedoch die andere Seite der Medaille, nämlich die größeren Exportmöglichkeiten für die EU-Industrie. Automobil-, Chemie- und Medizinprodukte sowie einige landwirtschaftliche Erzeugnisse würden für die Märkte des Mercosur geöffnet, wobei die Zölle gesenkt oder ganz abgeschafft würden. Dies, so argumentieren sie, würde die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken und zur Diversifizierung der Exportziele beitragen.
„Agrobite“ weist darauf hin, dass diese Debatte auch die Divergenz der Positionen der Mitgliedstaaten verdeutlicht. Anders als Frankreich oder Italien hat Litauen die Unterzeichnung des EU-Mercosur-Abkommens generell unterstützt. Auch das litauische Landwirtschaftsministerium hat sich nicht dagegen ausgesprochen – Minister Andrius Palionis legte dem Ausschuss für europäische Angelegenheiten eine positive Stellungnahme vor. Dieser Kontrast zeigt, dass die Entscheidung über das Abkommen nicht nur ein Test für den Handel, sondern auch für die politische Solidarität der gesamten Europäischen Union sein wird, die ein Gleichgewicht zwischen globalen Ambitionen und dem Schutz der lokalen landwirtschaftlichen Betriebe finden muss.