Alexander Izgorodin. Könnten die Leitzinsen in der Eurozone wieder auf Null sinken?

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Betrachtet man die Inflation und die makroökonomischen Indikatoren im Euroraum, so ist klar, dass zwei Leitzinssenkungen nicht ausreichen werden. Der bis vor kurzem noch feste Glaube der Marktteilnehmer, dass der EURIBOR nicht auf Null zurückkehren würde, wird jedoch langsam von den Zweifeln untergraben, die durch die stagnierende Eurozone und die immer tiefer in die Rezession sinkende deutsche Wirtschaft gesät werden. Wie weit ist die Europäische Zentralbank (EZB) bereit, die Zinssätze zu senken?

Derzeitig liegt der Leitzins bei 3,5 %, und das ist eindeutig noch nicht das Ende der Fahnenstange. Das Rennen darum, wer die aggressiveren Prognosen für die Leitzinssenkungen der EZB abgeben wird, ist auf den Markt zurückgekehrt. Der Markt geht davon aus, dass die EZB die Zinssätze Ende 2024 und im Jahr 2025 stark senken wird, was sich in den EURIBOR-Prognosen widerspiegelt. So wird der 3-Monats-EURIBOR, der derzeit bei 3,25 % liegt, im Dezember dieses Jahres voraussichtlich auf 2,86 %, im März auf 2,35 %, im Juni auf 2 % und im Dezember 2025 auf 1,79 % fallen.

Einige Marktteilnehmer argumentieren öffentlich, dass der Euroraum wieder Null-Leitzinsen braucht, wie zuletzt beim COVID-19.

Obwohl sich die Inflation in der Eurozone im September auf 1,8 % verlangsamte, was für die EZB, die sich zu einer jährlichen Inflationsrate von 2 % verpflichtet hat, ein sehr wichtiger Erfolg ist, bleibt das Problem der Dienstleistungsinflation bestehen, die sich nicht nennenswert zurückgebildet hat und weiterhin um die 4 % liegt, aber angesichts der lahmenden Wirtschaft in der Eurozone wird dies ein Problem sein, das überwunden werden wird.

Die Wirtschaft der Eurozone stagniert jedoch im Wesentlichen, und die deutsche Wirtschaft befindet sich bereits in einer faktischen Rezession, die sich noch vertieft. Die Auftragslage der deutschen Industrie ist heute so schlecht wie im August 2020 – die deutsche Industrie arbeitet im Grunde genommen im gleichen Modus wie während der COVID-19-Quarantänen. Die dortigen Probleme greifen auf die Industriesektoren in anderen EU-Ländern sowie auf andere Sektoren der deutschen Wirtschaft, wie etwa den Dienstleistungssektor, über.

Pragmatisch gesehen wäre es gesund und vorteilhaft für den Euroraum, eine Zeit lang zu sehr niedrigen Zinssätzen zurückzukehren, um die Wirtschaft zu beleben. Ich glaube jedoch nicht, dass die EZB es wagen wird, während des derzeitigen Zinssenkungszyklus die Nullgrenze zu erreichen.

Die Zentralbanken, einschließlich der EZB, erinnern sich noch gut an die geldpolitischen Experimente während der Pandemie, die zu dem weltweiten Inflationsschock am Ende der Pandemie führten. Die EZB wird bei Zinssenkungen äußerst vorsichtig sein, und ein großer Teil des EZB-Direktoriums wird die Idee von Nullzinsen sicherlich nicht unterstützen, selbst wenn Inflation und Wirtschaftsindikatoren die Notwendigkeit weiterer Zinssenkungen diktieren.

Es ist realistisch, dass die Leitzinsen im Euroraum auf 2 % gesenkt werden, aber ein Leitzins unter 2 % ist unwahrscheinlich und praktisch unrealistisch: Die EZB hat Angst, auf die gleiche Stufe zu treten und eine zweite Inflationswelle im Euroraum auszulösen.

Bei den Aussichten für die Leitzinsen im Euroraum im Jahr 2025 gibt es zwei Schlüsselelemente. Erstens: Das US-Wirtschaftswachstum wird sich wahrscheinlich verlangsamen, aber nicht wesentlich, so dass die Leitzinsen in den USA sinken werden, aber die Fed wird nicht geneigt sein, die Zinsen aggressiv zu senken, und sie werden relativ hoch bleiben.

Zweitens – die Situation in der chinesischen Wirtschaft und ihre Auswirkungen auf die Rohstoffpreise. Die chinesische Wirtschaft hat sich in letzter Zeit immer mehr verlangsamt: Der Immobilienmarkt befindet sich in einem Loch und die Wirtschaft selbst ist vom Wachstum zur Stagnation übergegangen. Dies hat sich automatisch negativ auf die Rohstoffpreise ausgewirkt. In den letzten Wochen hat die chinesische Regierung jedoch damit begonnen, die Wirtschaft wirklich zu stimulieren, und weitere Anreize vom Typ "Bazooka" (sehr groß) versprochen.

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Das bisher angekündigte Konjunkturprogramm ist klein und beläuft sich auf etwa 2 % des chinesischen BIP, aber auf dem Markt kursieren Gerüchte über ein bevorstehendes massives Konjunkturprogramm in Höhe von 10 Billionen Yuan. Die Gerüchte werden durch Äußerungen von Wirtschaftswissenschaftlern genährt, die mit dem chinesischen Finanzministerium in Verbindung stehen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für ein Konjunkturprogramm in Höhe von 4–10 Billionen Yuan wäre.

Die Gerüchte werden auch durch die Zinssenkungen der Fed genährt: Wenn China beginnt, seine Wirtschaft zu stimulieren, wird das Kapital nicht aus China in die USA fließen, da beide Seiten ihre Geldpolitik lockern. Wenn China also einen massiven Konjunkturaufschwung einleitet, könnte es im nächsten Jahr zu einem Anstieg der weltweiten Rohstoffpreise kommen, was die Möglichkeiten der EZB, die Zinsen auf Null zu senken, einschränken würde. Sollte Chinas Konjunkturprogramm nicht greifen, müsste die EZB die Zinsen möglicherweise weiter senken.

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Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Prognosen der Märkte für die Leitzinsen Ende dieses Jahres und im Jahr 2025 stark erschüttert werden und dass die Zentralbanken blitzschnell auf Veränderungen reagieren müssen.

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